Die Nightline
Zuhörtelefon von Studierenden für Studierende

Die Nightline ist ein Zuhör- und Informationstelefon von ehrenamtlich aktiven Studierenden für Studierende und bietet ein offenes Ohr, anonym und vertraulich über alles zu sprechen, was die Studierenden beschäftigt. Nightlines wurden in verschiedenen europäischen Städten eingerichtet, 22 davon gibt es aktuell in Deutschland. Das Ziel der Nightlines: vorurteilsfreies Zuhören und eine ergebnisoffene und non-direktive Gesprächskultur, die den Gesprächspartnern Raum für die eigene Entfaltung lässt. Eine(r) unserer Stipendiat*innen arbeitet ehrenamtlich seit zweieinhalb Jahren bei einer der Nightlines. Im Interview erzählt sie/er über ihre/seine Erfahrungen und das Konzept dieses Angebots für Studierende. Da die schützende Anonymität und Vertraulichkeit ein grundlegendes Prinzip der Nightline ist, erwähnen wir an dieser Stelle nicht den Namen der/des Studierenden.

 

Interview

Sie engagieren sich ehrenamtlich bei der Nightline. Was hat Sie dazu motiviert?
Als ich im ersten Semester war, habe ich überall Nightline Aufkleber gesehen. Ich habe mich darüber informiert und fand es ein total spannendes Konzept. Es hat aber noch ein Jahr gedauert, bis ich mich getraut habe, bei der Info-Veranstaltung für neue Mitglieder vorbei zu schauen. Ich wollte mich schon länger ehrenamtlich engagieren, und ich dachte mir, hier ist eine interessante Möglichkeit, die Welt besser kennenzulernen.

Mit welchen Anliegen wenden sich die Studierenden an die Nightline und zu welchen Themen haben Sie schon Gespräche im Rahmen Ihres Telefondienstes geführt?
Wenn das Telefon während eines Dienstes klingelt, weiß man nie, mit welchen Themen man gleich konfrontiert wird – das ist spannend! Die Themen sind sehr vielfältig – von Schwierigkeiten mit Freunden oder Eltern, Spannung in der WG, Liebeskummer, finanzielle Sorgen, bis zu Selbstzweifeln und Stress im Studium. Ich hatte sogar schon ein paar philosophische Gespräche über Existenzangst und den Sinn des Lebens. Alle Arten von Ängsten, Krisen, genereller Überforderung und Einsamkeit können vorkommen. Corona war die letzten eineinhalb Jahre natürlich auch ein präsentes Thema. Manche Anrufer kommen tatsächlich mit keinem konkreten Anliegen, die brauchen einfach jemanden der wirklich zuhört. Im seltenen Fall gibt es Gespräche auch über sehr heftige Themen wie Suizidgedanken. Wir sind aber gut vorbereitet, um mit solchen Themen umzugehen.

Wie wurden bzw. werden Sie auf die Anrufe der Studierenden vorbereitet, z.B. durch Schulungen, und wie oft machen Sie den Telefondienst bei der Nightline?
Alle neuen Mitglieder*innen müssen eine dreitägige Schulung absolvieren, bevor sie Telefondienste machen dürfen. In der Schulung lernt man die Gesprächstechnik des Aktiven Zuhörens, entwickelt von dem amerikanischen Psychologen Carl Rogers. Von ihm kommen die grundlegenden Prinzipien und Techniken, an denen sich alle Nightlines orientieren. Im Prinzip heißt es, vorurteilsfrei und empathisch dem Gegenüber zuzuhören. Wir geben also kaum Input, bieten aber einen wertschätzenden, vertraulichen Raum an. Bei der Schulung wird die Theorie gleich in Übungsgesprächen umgesetzt. Wir lernen auch, wie man mit Gesprächen umgeht, die unsere persönlichen Kompetenzgrenzen überschreiten, und wie man erkennt, wann der/die Anrufer*in weiterverwiesen werden sollte. Außerdem gibt es regelmäßige Supervisionen für alle Nightliner*innen mit einem professionalen Psychotherapeuten und jedes Semester eine Fortbildung. Bei der Nightline sollte man mindestens sechs Dienste im Semester machen, aber natürlich ist Verständnis dafür da, wenn man gerade eine stressige Phase hat und eventuell eine Zeit lang keinen Dienst übernehmen kann. Es ist ein sehr motivierter Verein, und wir bemühen uns jederzeit, keine Dienstausfälle entstehen zu lassen.

 

„Es fällt mir so oft auf, wie wenig wir im Alltag richtig zuhören oder uns richtig zugehört wird. Die Welt würde sicher etwas anders aussehen, wenn wir alle lernen würden, besser zuzuhören.“

 

Wie gehen Sie mit emotional belastenden Gesprächen um und wie verarbeiten Sie diese für sich, um nach Ihrem Dienst „abschalten“ zu können?
Es kommt tatsächlich manchmal vor, dass bestimmte Gespräche einen länger beschäftigen. Ich hatte schon einige Gespräche, die mich sehr mitgenommen haben – wenn man hört, wie sehr jemand in dem Moment leidet, oder z.B, wenn ein Anrufer von einer schwierigen Situation erzählt, in welcher ich mich selbst wiederfinden kann. Wie schon erwähnt, haben wir regelmäßige Supervisionen, wo wir mit einem erfahrenen Psychotherapeuten über belastende Gespräche reden können – das kann sehr helfen. Aber was mir bisher immer am meisten geholfen hat, war mit meinem Dienstpartner darüber zu reden. Man macht einen Dienst immer zu zweit, und wenn ein Gespräch mich betroffen hat, rede ich direkt mit meinem Dienstpartner darüber. Er/sie weiß auch wie es ist, am Telefon zu sein, und selbstverständlich kann er/sie auch gut zuhören. Es hilft auch, dass die Dienste in einem Büro an der Uni stattfinden und nicht bei einem Zuhause. Dann kann man auf dem Weg nach Hause die Gespräche verarbeiten. Am Anfang von Corona mussten Dienste teilweise aus dem Homeoffice gemacht werden – da ist uns erst recht bewusstgeworden, wie wertvoll diese physische Entfernung zum Nightline-Telefon ist.

Was war Ihr schönstes oder berührendes Erlebnis bei der Nightline bisher?
Ich durfte schon sehr viele schöne und berührende Gespräche führen, und es fällt mir schwer, ein bestimmtes zu nennen! Ich hatte z.B. ein Gespräch mit einer frisch verliebten Anruferin, die einfach ihre Gefühle nach draußen sprudeln lassen wollte. Man hat auch immer ein gutes Gefühl, wenn man am Ende von einem Gespräch merkt, dass die Situation oder Gefühle der Anrufer*in für ihn/sie klarer geworden sind oder dass sie sogar eine Lösung für sich gefunden haben. Ich freue mich auch immer sehr, wenn ein(e) Anrufer*in sich am Ende vom Gespräch bedankt und sagt, dass das Gespräch ihm/ihr geholfen hat oder dass er/sie dankbar ist, dass es uns gibt. Das kommt tatsächlich oft vor und man fühlt sich sehr wertgeschätzt. Ein Nightline Telefonat ist eine ganz besondere Situation – man kennt die Person gar nicht, aber sie öffnet sich einem gegenüber, und manchmal teilen die Anrufer*innen Sachen mit einem, die sie bisher so noch nie ausgesprochen haben. Es ist ein großes Privileg, das ich sehr ernst nehme, wenn jemand mir so vertraut; es zeigt mir, dass ich es geschafft habe, dieser Person einen Raum zu geben, in welchem er/sie sich wohlfühlt und sich aussprechen kann – und das ist schön, selbst wenn es in dem Gespräch vielleicht um traurige Themen geht.

 

„Es ist ein ganz besonderes Gefühl zu wissen, dass man mit seiner ganzen Aufmerksamkeit für jemanden da ist – und zu merken, wie alleine das dem Gegenüber helfen kann.“

 

Würden Sie die Tätigkeit bei der Nightline auch anderen Studierenden empfehlen?
Es ist vielleicht nicht eine Tätigkeit, womit sich jeder sicher fühlen würde. Ich kann allerdings sagen, dass es mein Leben enorm bereichert hat. Es ist ein ganz besonderes Gefühl, zu wissen, dass man mit seiner ganzen Aufmerksamkeit für jemanden da ist – und zu merken, wie alleine das dem Gegenüber helfen kann. Wie ich es mir am Anfang erhofft hatte, lerne ich dadurch tatsächlich die Welt besser kennen – die Vielfalt an menschlichen Erfahrungen, Wahrnehmungen und Lebensphilosophien. Ich sehe manche Sachen jetzt auch mit anderen Augen. Als ich bei der Nightline angefangen habe, wurde mir bewusst, wie schnell ich im Alltag anfange, beim Zuhören meine Antwort und Ratschläge oder Kommentare mental vorzubereiten, ohne mich richtig auf mein Gegenüber einzulassen oder auf die Person einzugehen. Auch wenn Gespräche mit Freunden oder Familie nicht ganz vergleichbar mit einem Nightline-Gespräch sind, versuche ich trotzdem, die Prinzipien des Aktiven Zuhörens im Kopf zu behalten. Es fällt mir so oft auf, wie wenig wir im Alltag richtig zuhören oder uns richtig zugehört wird. Ich glaube, es ist eine sehr wichtige, aber von unserer Gesellschaft sehr unterschätzte Fertigkeit. Die Welt würde sicher etwas anders aussehen, wenn wir alle lernen würden, besser zuzuhören. Außerdem kann ich die Tätigkeit empfehlen, weil der Zusammenhalt unter den Freiwilligen unglaublich ist – jeder ist motiviert und steht total hinter dem was wir tun.

Worauf sollten Studierende achten, die sich ebenfalls bei der Nightline engagieren möchten und welche Tipps haben Sie für diejenigen, die das Angebot nutzen möchten?
Eine Sache, auf die man bei diesem Ehrenamt unbedingt achten sollte, ist die Anonymität. Man muss bereit sein, die Tätigkeit möglichst ‚geheim‘ zu halten. Das kann einem manchmal schwerfallen. Aber auch wenn die Tätigkeit nicht jedermanns Sache ist, würde ich hier an der Stelle jede/n Stipentiat*in dazu ermutigen, das Angebot der Nightline wahrzunehmen! Bevor ich selbst bei der Nightline dabei war dachte ich, ich muss ein „richtiges“ Problem oder eine Krise haben, bevor ich dort anrufen könnte – viele denken ähnlich. Aber die Nightline ist für jedes Thema und jede Sorge da, egal wie groß oder klein. Ich habe selbst schon mal eine (andere) Nightline angerufen, als mich etwas beschäftigt hat, und es war total hilfreich. Ich weiß jetzt, wie professionell und lieb die Menschen am Telefon sind! Falls die eigene Universität keine Nightline anbietet, oder falls Studierende Angst haben, den/die Nightliner*in zu kennen oder später zu treffen, dann können Sie eine Nightline einer anderen Stadt anrufen. Manche bieten ein zusätzliches E-Mail- oder Chat-Angebot, und die Nightline Zürich bietet sogar mehrere Sprachen an. Das Besondere an der Nightline ist, dass es ein Service von Studierenden für Studierende ist – das ermöglicht es, dass die Gespräche auf Augenhöhe durchgeführt werden können, und ich weiß von beiden Seiten, wie sehr ein offenes Ohr helfen kann.

 

Weiterführende Informationen

Erreichbarkeit der Nightline:

Die Erreichbarkeit der einzelnen Nightlines können Sie einsehen unter: www.nightlines.eu/erreichbarkeit

Die Nightlines sind in der Regel zwischen 20:00 und 00:30 Uhr zu erreichen.

Die Hotline ist keine Beratungsstelle, jedoch kann bei schwerwiegenden Schwierigkeiten an ausgesuchte professionelle Beratungs- und Hilfestellen weiter- verwiesen werden.

Zum Hintergrund der Nightlines:

Der Verein „Förderinitiative Nightlines Deutschland e.V.“ unterstützt und vernetzt die lokalen Nightlines im deutschsprachigen Raum ideell und administrativ. Die finanzielle Förderung wird von der zugehörigen Nightline-Stiftung bereitgestellt, die als Vermögensverwalterin fungiert. Mit der Entwicklung und Erhaltung eines deutschlandweiten Nightline-Netzwerkes sollen Toleranz, Wertschätzung und gegenseitige Unterstützung in der Hochschullandschaft und in unserer Gesellschaft gefördert werden.

Weitere Informationen zur Stiftung finden Sie unter: www.nightline-stiftung.de

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